Lean User Research – Einfache Methoden, um mehr über deine User zu erfahren

Verbessere deine Website mit Lean User Research. Ich zeige dir einfache Methoden, mit denen du mehr über deine User erfahren kannst

eine Person die an einem Desktop Computer sitzt und User Research durchführt
Inhaltsverzeichnis

Was ist eigentlich Lean User Research?

In so ziemlich jedem Artikel zu User Experience Design findet man das Wort Empathie.

Also die Bereitschaft, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Da wird natürlich immer empfohlen, dem User gegenüber empathisch zu sein und auf die Bedürfnisse des Users einzugehen.

Das klingt ja erst einmal super einfach, aber zu 100 % in die Haut eines anderen zu schlüpfen, die selben Gefühle, Gedanken, Erwartungen und Probleme haben wie der User? Das ist eher schwierig, ich würde sogar behaupten unmöglich.

Und genau hier kommt User Research in’s Spiel.

User Research ist nichts anderes, als herauszufinden was deine Besucher denken und fühlen, während sie z. B. deine Website benutzen. Jetzt könntest du damit anfangen, User Interviews zu führen und anschließend User Personas erstellen. Bestenfalls kommen dann auch noch User Journey Maps dazu.

Das sind aber alles zeitintensive Projekte und wenn man eine Sache heutzutage nicht hat, dann Zeit.

Deswegen müssen wir einen Weg finden, auf eine möglichst einfache Art und Weise Infos über User zu bekommen. Und das ist Lean User Research. Einfache und pragmatische User Research Methoden.

Die Geschichte und Philosophie hinter Lean User Research

Lean User Research ist stark von den Prinzipien des Lean Startup und Agile Development beeinflusst.

Der Begriff „Lean“ stammt ursprünglich aus der Produktionsindustrie und wurde von Toyota in den 1950er Jahren entwickelt. Im Kern geht es beim Lean-Ansatz darum, Verschwendung zu minimieren und Wert zu maximieren.

Eric Ries übertrug diese Prinzipien 2011 in seinem Buch „The Lean Startup“ auf die Gründung von Unternehmen und Produktentwicklung.

Der Kerngedanke: Anstatt lange Zeit und viele Ressourcen in die Entwicklung eines Produkts zu stecken, von dem man nicht weiß, ob es überhaupt einen Markt gibt, sollte man schnell einen Prototyp erstellen, testen und iterativ verbessern.

Diese Denkweise hat sich auch auf den Bereich User Research übertragen.

Statt monatelanger ethnografischer Studien mit großen Budgets geht es bei Lean User Research darum, mit minimalem Aufwand maximale Erkenntnisse zu gewinnen. Es ist ein iterativer, pragmatischer Ansatz, der sich besonders für kleine Teams, Startups oder Projekte mit knappem Budget eignet.

Der Grundsatz lautet:

Lieber heute 80% der Antworten mit 20% des Aufwands bekommen, als in drei Monaten 100% der Antworten mit 100% des Aufwands.

Warum ist Lean User Research so wichtig?

In der heutigen schnelllebigen digitalen Welt können sich Nutzerbedürfnisse und Markttrends innerhalb weniger Wochen ändern.

Unternehmen, die zu viel Zeit in langwierige Forschungsprozesse investieren, riskieren, dass ihre Erkenntnisse bereits veraltet sind, bevor sie überhaupt angewendet werden können.

Hier sind einige Gründe, warum Lean User Research besonders heute relevant ist:

  1. Schnellere Entscheidungsfindung: Du kannst innerhalb von Tagen statt Monaten wichtige Erkenntnisse gewinnen.
  2. Kosteneffizienz: Mit begrenzten Ressourcen kannst du trotzdem wertvolle Einblicke in das Nutzerverhalten erhalten.
  3. Kontinuierliche Verbesserung: Lean User Research ist nicht einmalig, sondern ein fortlaufender Prozess, der die kontinuierliche Optimierung deines Produkts ermöglicht.
  4. Reduzierte Risiken: Durch frühzeitige und regelmäßige Nutzereinbindung kannst du kostspielige Entwicklungsfehler vermeiden.
  5. Fokus auf das Wesentliche: Lean User Research konzentriert sich auf die wichtigsten Fragen und hilft dir, Entscheidungen auf Basis von echten Nutzerdaten zu treffen, statt auf Annahmen zu vertrauen.

In Zeiten, in denen selbst große Unternehmen agiler werden müssen, bietet Lean User Research eine praktikable Lösung, um den Spagat zwischen Geschwindigkeit und fundierten Erkenntnissen zu meistern.

Eine Gegenüberstellung von zwei Forschern bei der Arbeit: links eine Person, die agile Methoden mit Haftnotizen und einem kleinen Team in einem modernen Raum anwendet (stellvertretend für Lean Research); rechts eine formelle Forschungsumgebung mit umfangreicher Dokumentation und mehreren Teilnehmern in einer traditionellen Laborumgebung.

Lean User Research vs. Traditioneller User Research: Die Unterschiede

Um zu verstehen, was Lean User Research so besonders macht, ist es hilfreich, ihn mit traditionellen Ansätzen zu vergleichen:

KriteriumTraditioneller User ResearchLean User Research
ZeitrahmenWochen bis MonateStunden bis Tage
TeilnehmerzahlMeist größere Gruppen (10-30+)Kleinere Stichproben (5-8)
VorbereitungUmfangreiche Planung, ScreeningMinimale Vorbereitung
MethodenUmfassende Interviews, FeldstudienKurze Interviews, schnelle Tests
DatenanalyseTiefgehende qualitative/quantitative AnalyseFokussiert auf Schlüsselerkenntnisse
DokumentationAusführliche Berichte, PräsentationenKurze Zusammenfassungen, Aktionspunkte
KostenHochNiedrig
FokusUmfassende ErkenntnisseHandlungsrelevante Erkenntnisse

Der traditionelle Ansatz hat durchaus seine Berechtigung, besonders bei großen, risikoreicheren Projekten oder wenn tiefere Einblicke in komplexe Nutzergruppen erforderlich sind.

Lean User Research hingegen eignet sich hervorragend für:

  • Startups und kleine Unternehmen mit begrenzten Ressourcen
  • Iterative Produktentwicklungsphasen
  • Validierung oder Invalidierung spezifischer Annahmen
  • Schnelle Entscheidungsfindung bei Designfragen
  • Agile Entwicklungsumgebungen

Dabei geht es nicht darum, Qualität zu opfern, sondern durch clevere Methoden, mit weniger Aufwand aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen.

Auf diese Themenfelder solltest du bei Lean User Research Rücksicht nehmen:

Probleme

User kommen immer mit einem bestimmten Problem auf deine Website.

Auf der Suche nach einer Lösung, sind sie dann bei dir gelandet. Das kann einfach die Antwort auf eine Frage sein, oder aber auch die Suche nach einem Service, der dieses bestimmte Problem löst.

Wenn du die Probleme kennst, kannst du auch super einfach die entsprechenden Lösungen anbieten.

Wie du Nutzerprobleme effektiv identifizierst:

  1. Analysiere Support-Anfragen: Welche Probleme werden immer wieder gemeldet?
  2. Beobachte Suchanfragen: Welche problembezogenen Begriffe führen Nutzer zu deiner Website?
  3. Überprüfe Absprungpunkte: An welchen Stellen verlassen Nutzer deine Website, weil sie keine Lösung finden?
  4. Nutze Social Listening: Was diskutieren potenzielle Nutzer in sozialen Medien oder Foren über Probleme in deiner Branche?

Ein tieferes Verständnis der Nutzerprobleme hilft dir nicht nur bei der Verbesserung deiner Website, sondern auch bei der Entwicklung zukünftiger Produkte oder Features.

Fragen

Die meisten User kommen mit Fragen auf eine Website. Diese können sehr allgemein oder spezifisch sein.

Eine allgemeine Frage wäre z. B. „Welche Services bietet dieses Unternehmen an“ und eine spezifische Frage könnte z. B. „Hat dieses Produkt die Funktion XYZ“ sein.

Wenn du diese Fragen nicht kennst, wird deine Website niemals die Bedürfnisse des Users erfüllen.

Häufige Nutzerfragetypen und wie du sie beantworten kannst:

  1. Produktbezogene Fragen:
    • „Wie funktioniert das Produkt?“
    • „Welche Funktionen hat es?“
    • „Ist es kompatibel mit…?“
    • Lösung: Erstelle detaillierte Produktseiten mit Spezifikationen, FAQs und Vergleichstabellen.
  2. Preis- und Wertfragen:
    • „Wie viel kostet es?“
    • „Gibt es verschiedene Preispläne?“
    • „Lohnt sich die Investition?“
    • Lösung: Transparente Preisgestaltung mit klarem Mehrwert, Kundenstimmen zur Bestätigung des Nutzens.
  3. Vertrauensfragen:
    • „Ist das Unternehmen vertrauenswürdig?“
    • „Wie sicher sind meine Daten?“
    • „Was sagen andere Kunden?“
    • Lösung: Testimonials, Bewertungen, Sicherheitszertifikate und Datenschutzerklärungen prominent platzieren.
  4. Prozessfragen:
    • „Wie bestelle ich?“
    • „Wie lange dauert die Lieferung/Einrichtung?“
    • „Was passiert nach dem Kauf?“
    • Lösung: Klare Prozessschritte visualisieren, Zeitleisten anbieten.

Eine effektive Website beantwortet diese Fragen proaktiv, ohne dass der Nutzer lange suchen muss.

Bedenken

Menschen haben immer Bedenken oder Einwände, wenn sie auf einer Website unterwegs sind. Und genau wegen dieser Gründe zögern sie dann z. B. im Checkout-Prozess des Warenkorbs oder tragen sich nicht in einen Newsletter ein.

Vielleicht ist der Preis zu hoch, vielleicht haben sie Bedenken gegenüber dem Datenschutz. Hier kann es viele Gründe geben. Du solltest diese Bedenken und Einwände kennen, um sie adressieren zu können.

Typische Nutzerbedenken und Lösungsstrategien:

  1. Preisbedenken:
    • Symptom: Nutzer erreichen die Preisseite oder den Warenkorb und brechen ab.
    • Strategie: Wertversprechen verdeutlichen, Geld-zurück-Garantie anbieten, verschiedene Preisoptionen bereitstellen.
  2. Datenschutzbedenken:
    • Symptom: Zögern bei der Registrierung oder Dateneingabe.
    • Strategie: Klare Datenschutzhinweise, optionale Registrierung ermöglichen, schrittweise Dateneingabe (nur das Nötigste zuerst abfragen).
  3. Vertrauensbedenken:
    • Symptom: Hohe Besucherzahlen aber niedrige Konversionsrate.
    • Strategie: Vertrauenssignale wie Zertifikate, Bewertungen, Pressestimmen und Kundenfeedback prominent platzieren.
  4. Komplexitätsbedenken:
    • Symptom: Abbrüche in mehrstufigen Prozessen.
    • Strategie: Prozesse vereinfachen, klare Fortschrittsanzeigen, Hilfetexte und Support-Optionen anbieten.
  5. FOMO (Fear of Missing Out) oder Bedauern:
    • Symptom: Nutzer zögern bei der Entscheidung.
    • Strategie: Soziale Beweise zeigen, begrenzte Angebote transparent kommunizieren, einfache Stornierungsmöglichkeiten betonen.

Ein kluger Ansatz ist, diese Bedenken direkt anzusprechen, bevor sie zum Hindernis werden. Eine FAQ-Sektion wie „Warum uns vertrauen?“ oder „Unsere Datenschutzversprechen“ kann präventiv wirken.

Ziele

Besucher wollen natürlich auch immer irgendwas Bestimmtes auf deiner Website machen. Also z. B. ein Ticket kaufen, einen Service buchen oder Software herunterladen.

Deine Website sollte es dem User möglichst einfach machen, diese Ziele zu erfüllen. Dementsprechend solltest du wissen, welche Ziele das sind.

Nutzerzielhierarchie verstehen und optimieren:

  1. Primäre Ziele: Die Hauptgründe, warum Nutzer deine Website besuchen (z. B. ein Produkt kaufen, einen Termin buchen).
    • Optimierungstipps:
      • Platziere Call-to-Actions für primäre Ziele prominent
      • Reduziere die Schritte zum Erreichen dieser Ziele
      • Entferne Ablenkungen auf dem Weg zum Ziel
  2. Sekundäre Ziele: Nebenziele, die Nutzer möglicherweise haben (z.B. mehr über dein Unternehmen erfahren, Support erhalten).
    • Optimierungstipps:
      • Mache diese Optionen zugänglich, aber nicht dominant
      • Biete sie strategisch an Punkten an, wo Nutzer sie brauchen könnten
  3. Mikroziele: Kleine Zwischenschritte auf dem Weg zum Hauptziel (z.B. ein Produkt dem Warenkorb hinzufügen, ein Formularfeld ausfüllen).
    • Optimierungstipps:
      • Belohne den Fortschritt visuell
      • Mache Mikroziele leicht erreichbar
      • Teste verschiedene Formulierungen und Designs

Je besser du die Zielhierarchie deiner Nutzer verstehst, desto effektiver kannst du deine Website strukturieren. Es ist wichtig, die häufigsten Nutzerziele durch Klickpfad-Analysen, Heatmaps und gezielte Befragungen zu identifizieren.

Die User Journey

Wo kommen die User her? Wie sind sie auf deine Website aufmerksam geworden? Welche anderen Seiten haben sie davor besucht? Was machen sie nach dem Besuch auf deiner Website?

Deine Besucher haben so gut wie immer einen bestimmten Weg absolviert, bevor sie bei dir gelandet sind.

Wenn du z. B. weißt, welchen Suchbegriff ein User bei Google eingegeben hat, bevor er auf deiner Seite gelandet ist, kannst du deine Seite besser auf den Suchbegriff optimieren. Oder wenn ein User nach dem Besuch deiner Website auf einem bestimmten Online-Shop nach einem Produkt sucht, kannst du direkt einen Link zu diesem Shop anbieten und z. B. Affiliate-Links einsetzen.

Die einzelnen Schritte, die der User durchläuft, sind also essenziell, um die User Experience deiner Seite zu verbessern.

Erweiterte Techniken zur User Journey Analyse:

  1. Touchpoint-Mapping: Identifiziere alle Berührungspunkte zwischen deinem Unternehmen und dem Nutzer – vor, während und nach dem Website-Besuch.
    • Anwendungsbeispiel: Ein Nutzer könnte zuerst eine Google-Anzeige sehen, dann deinen Blog lesen, später eine E-Mail von dir erhalten und schließlich über Social Media mit dir interagieren.
  2. Multi-Device Journey Tracking: Verstehe, wie Nutzer zwischen verschiedenen Geräten wechseln.
    • Anwendungsbeispiel: Ein Nutzer entdeckt dein Produkt mobil während des Pendelns, recherchiert später am Desktop und schließt den Kauf am Abend auf dem Tablet ab.
  3. Emotionale Journey-Kartierung: Analysiere nicht nur die Schritte, sondern auch die emotionalen Zustände der Nutzer an verschiedenen Punkten.
    • Anwendungsbeispiel: Visualisiere Freude, Frustration oder Unsicherheit an verschiedenen Touchpoints, um emotionale Schmerzpunkte zu identifizieren.
  4. Konkurrenzbezogene Journey-Analyse: Verstehe, wann und warum Nutzer zwischen deiner Website und Konkurrenzangeboten wechseln.
    • Anwendungsbeispiel: Erkenne, dass Nutzer oft Preisvergleiche anstellen, bevor sie zu deiner Seite zurückkehren, und integriere daher preisbezogene Informationen direkt.

Diese erweiterten Analysemethoden helfen dir, nicht nur isolierte Interaktionen zu verstehen, sondern die gesamte Customer Journey ganzheitlich zu betrachten und zu optimieren.

Gemütszustand

In welchem Gemütszustand sind deine User?

Jedes positive oder negative Gefühl hat einen Einfluss auf die menschliche Wahrnehmung und somit auch auf die Wahrnehmung deiner Website.

Wenn jemand Stress hat, solltest du ihn nicht mit visuellen Elementen überfordern. Wenn jemand Schmerzen hat, solltest du eine möglichst beruhigende Sprache einsetzen usw.

Emotionales Design für unterschiedliche Nutzerzustände:

  1. Stress und Dringlichkeit:
    • Designansatz: Klare, minimalistische Layouts, beruhigende Farben (Blau, Grün)
    • Sprachstil: Kurze, direktive Sätze, beruhigende Wortwahl
    • Funktionen: Schnellzugriff auf häufige Aktionen, vereinfachte Prozesse
    • Beispiel: Eine Notfall-Hotline-Website sollte sofort die wichtigsten Informationen präsentieren, ohne Ablenkungen.
  2. Unsicherheit und Informationssuche:
    • Designansatz: Strukturierte Informationshierarchie, schrittweise Enthüllung
    • Sprachstil: Erklärend, empathisch, Fachjargon vermeiden
    • Funktionen: Vergleichstools, Informations-Tooltips, Chatbots für sofortige Hilfe
    • Beispiel: Eine Versicherungswebsite sollte komplexe Informationen schrittweise erklären und jederzeit Hilfestellung anbieten.
  3. Entdeckungsstimmung:
    • Designansatz: Visuell reichhaltige Layouts, Entdeckungsfunktionen
    • Sprachstil: Inspirierend, überraschend, neugierig machend
    • Funktionen: Personalisierte Empfehlungen, „Entdecken Sie mehr“-Bereiche
    • Beispiel: Ein Online-Shop für Hobbyartikel sollte zum Stöbern einladen und überraschende Empfehlungen bieten.
  4. Zeitdruck:
    • Designansatz: Optimierte Pfade, minimal erforderliche Eingaben
    • Sprachstil: Knapp, effizient, zeitsparend
    • Funktionen: Autofill, gespeicherte Präferenzen, Express-Optionen
    • Beispiel: Eine Food-Delivery-App sollte Wiederholungsbestellungen mit minimalen Klicks ermöglichen.

Indem du dein Design und deine Inhalte auf die emotionalen Zustände deiner Nutzer abstimmst, schaffst du eine resonante und effektivere Nutzererfahrung.

Eine Person, die Benutzerforschungsdaten mit drei verschiedenen Methoden analysiert: ein Umfrageformular, ein Interview-Setup mit Sprechblasen und ein Usability-Test mit jemandem, der einen Bildschirm beobachtet, alle in einem sauberen Arbeitsbereich mit bunten visuellen Elementen angeordnet.

3 einfache User Research Methoden, um mehr über deine Benutzer herauszufinden

Ich möchte dir jetzt ein paar Methoden vorstellen, mit denen du recht einfach User Research betreiben kannst.

1. Indirekte User Interviews mit deinem Team

Wenn du in einer größeren Organisation, Agentur oder einem Unternehmen arbeitest, dann vergiss nicht, dass die meisten Informationen schon längst existieren.

Du musst sie nur innerhalb des Teams finden.

Ein guter Startpunkt ist der Kundensupport, Vertriebsmitarbeiter, Projektmanager oder andere Teammitglieder, die generell mit Kunden zu tun haben. Frage hier einfach mal nach, worüber sich die User beschweren, welche Fragen sie haben oder auf welche Probleme sie immer wieder stoßen. Geh die einzelnen Themenfelder einfach durch und versuch so viel wie möglich herauszufinden.

Du wirst sehen, dass du schon mit internen Erfahrungen viel über die User lernen kannst. Das sind quasi indirekte User Interviews.

So führst du effektive Team-Interviews durch:

  1. Strukturierte Frageleitfäden entwickeln: Erstelle spezifische Fragelisten für verschiedene Abteilungen:
    • Support: „Welche drei Probleme werden am häufigsten gemeldet?“
    • Vertrieb: „Welche Einwände hören Sie am häufigsten von potenziellen Kunden?“
    • Projektmanager: „Welche Missverständnisse treten zwischen Kunden und Team wiederholt auf?“
  2. Regelmäßige Insight-Meetings etablieren: Plane monatliche 30-minütige Treffen mit Vertretern verschiedener Abteilungen, um Nutzererkenntnisse auszutauschen.
  3. Dokumentation und Wissensmanagement:
    • Erstelle ein zentrales Dokument oder Wiki für Nutzererkenntnisse
    • Kategorisiere Feedback nach Themen (Usability, Funktionen, Preisgestaltung etc.)
    • Identifiziere Muster in den gesammelten Daten
  4. Support-Ticket-Analyse systematisieren:
    • Tagge Support-Tickets nach Problemtypen
    • Führe monatliche quantitative Analysen durch
    • Identifiziere die Top 5 der Nutzerprobleme

Diese systematische Herangehensweise transformiert anekdotisches Wissen in deinem Unternehmen in strukturierte, handlungsrelevante Erkenntnisse.

2. Kurze User Interviews mit Kunden

Wenn du nicht in einem größeren Unternehmen arbeitest, sondern Solopreneur, Freelancer oder Selbständig bist, dann telefonierst du bestimmt öfter mit potenziellen Kunden wegen Projekt- oder Supportanfragen.

Das ist der perfekte Moment, um z. B. am Ende des Gesprächs noch beiläufig ein oder zwei Fragen zu stellen. Notiere dir dazu ein paar Fragen, die gerade wichtig für dich sind und versuche diese in deine Gespräche einzubauen.

Wenn du beispielsweise nicht weist, wie die Leute auf deiner Website landen, dann frag sie doch einfach direkt!

Du kannst z. B. auch den Kunden kurz bitten, auf deine Website zu gehen und dir zu sagen, was ihm als Erstes auffällt. So findest du in wenigen Minuten heraus, ob dein Call to Action Button auffällig genug ist oder irgendein Element zu sehr ablenkt.

Wichtig ist bei dieser Methode, dass du wirklich nur wenige Fragen stellst und vorher auch nachfragst, ob dein Gegenüber 2 Minuten Zeit für dich hat.

Die Kunst des Micro-Interviews perfektionieren:

  1. Optimale Zeitpunkte identifizieren:
    • Nach erfolgreicher Problemlösung oder erfolgreichem Projekt-Ende (positiver Stimmung)
    • Bei Warteprozessen (z. B. während etwas lädt oder installiert wird)
    • Unmittelbar nach Transaktionen
    • In Follow-up-E-Mails, mit klarem Zeitrahmen („nur 2 Minuten“)
  2. Rotierenden Fragenkatalog erstellen: Bereite verschiedene Fragesets vor und wechsle zwischen ihnen, um breite Erkenntnisse zu sammeln:
    • Set A: Entdeckungsphase (Wie haben Sie uns gefunden?)
    • Set B: Entscheidungsphase (Was hat Sie überzeugt?)
    • Set C: Nutzungsphase (Wie oft nutzen Sie Feature X?)
  3. Direkte Beobachtung einbauen:
    • „Könnten Sie kurz auf unsere Website gehen und mir sagen, wohin Ihr Blick zuerst fällt?“
    • „Würden Sie mir zeigen, wie Sie auf Suchmaschinen nach einem ähnlichen Produkt wie unserem suchen würden?“

Diese Mikro-Interview-Techniken liefern wichtige Erkenntnisse mit minimalem Zeitaufwand für dich und deine Kunden.

3. Umfragen mit einer einzigen Frage

Kein User füllt gerne Umfragen aus, die super lange sind und viel Zeit in Anspruch nehmen.

Erstelle also eine Umfrage mit einer einzigen Frage und mehreren vorgegebenen Antwortmöglichkeiten inklusive eines freien Texteingabefelds.

Beispiel: Mit „Welche Fragen haben dich auf diese Seite gebracht?“ kannst du z. B. herausfinden, welche Fragen User haben und ob du diese schon auf deiner Seite beantwortet hast.

Diese Art der Umfrage eignet sich am besten, um herauszufinden, welche Bedenken User haben. Solche Umfragen kannst du mit Hubspot, Hotjar, Surveymonkey oder Typeform erstellen.

Du kannst natürlich auch auf Social Media, in Foren oder Facebookgruppen, Slack-Channel usw. deine Umfrage posten. Wichtig ist dabei nur, dass dort auch Menschen sind, die zu deiner Zielgruppe gehören.

Optimale Einzelfragen-Strategien:

  1. Strategische Platzierung von Umfragen:
    • Exit-Intent: „Was hat dich davon abgehalten, heute einen Kauf abzuschließen?“ (bitte nur benutzen, wenn es eine hohe Bounce-Rate auf der Seite gibt)
    • Post-Conversion: „Was hat dich letztendlich überzeugt, bei uns zu kaufen?“
    • Auf Feature-Seiten: „Fehlt hier eine Information, die du brauchst?“
    • Auf der Homepage: „Was suchst du heute bei uns?“
  2. Kontextuelle Frageformulierung: Passe die Frage an den genauen Standort und Zeitpunkt im Nutzererlebnis an:
    • Auf Preisseiten: „Was hält dich vom Upgrade zurück?“
    • Bei hohen Absprungraten: „War diese Seite hilfreich für dich?“
    • Im Blog: „Welches verwandte Thema sollten wir als Nächstes behandeln?“
  3. Wirkungsvolle Fragetypen:
    • Likert-Skala für schnelle Bewertungen: „Wie einfach war es, zu finden wonach du gesucht hast? (1-5)“
    • Multiple-Choice mit „Sonstiges“-Option: „Welcher Aspekt unseres Produkts interessiert dich am meisten?“
    • Binäre Entscheidungsfragen: „Hast du gefunden, wonach du gesucht hast? Ja/Nein“
  4. Psychologisch clever formulieren:
    • Nutze die „Jetzt gerade“-Technik: „Was suchst du jetzt gerade auf unserer Website?“
    • Wende die „Hilf uns zu verstehen“-Formulierung an: „Hilf uns zu verstehen, was dich heute zu uns führt.“
    • Verwende „Wenn du könntest“-Szenarien: „Wenn du eine Sache an unserer Website ändern könntest, was wäre das?“

Mit dieser gezielten Einzelfragen-Strategie kannst du kontinuierlich wertvolle Einblicke sammeln, ohne deine Nutzer zu überfordern.

Illustration einer Person die User Research Ergebnisse analyisiert

4 weitere praktische Lean User Research Methoden

Neben den bereits vorgestellten Methoden gibt es weitere einfache Techniken, die du mit minimalem Aufwand einsetzen kannst, um wertvolle Erkenntnisse über deine User zu gewinnen.

1. Die 5-Sekunden-Test-Methode

Der 5-Sekunden-Test ist eine extrem schnelle Methode, um die erste Wahrnehmung deiner Website oder eines Designs zu testen. Dabei zeigst du einem Nutzer deine Webseite für nur 5 Sekunden und stellst danach gezielte Fragen.

So funktioniert’s:

  1. Zeige einem Tester deine Website oder einen Prototyp für exakt 5 Sekunden
  2. Stelle anschließend Fragen wie:
    • „Worum geht es auf dieser Website?“
    • „Was ist der Hauptzweck dieser Seite?“
    • „Welches Element ist dir am meisten aufgefallen?“
    • „Was würdest du tun, wenn du auf dieser Seite etwas machen müsstest?“

Warum das funktioniert: In den ersten Sekunden bilden Nutzer ihr initiales Urteil über deine Website. Dieser Test hilft dir zu verstehen, ob deine wichtigsten Botschaften und Funktionen sofort wahrgenommen werden.

Tools und Ressourcen:

  • Lyssna bietet eine Plattform für 5-Sekunden-Tests (und viele weitere Tests)
  • Du kannst dies auch persönlich oder über Videokonferenzen durchführen
  • Optimal ist eine Stichprobe von 5 bis 10 Personen

Der 5-Sekunden-Test ist besonders wertvoll, um zu überprüfen, ob dein Hauptwertversprechen klar kommuniziert wird und ob die Nutzer sofort verstehen, worum es auf deiner Website geht.

2. Guerilla-Testing in der Öffentlichkeit

Guerilla-Testing ist eine informelle Methode, bei der du Menschen an öffentlichen Orten (Cafés, Bibliotheken, Einkaufszentren) ansprichst und sie bittest, kurz deine Website oder App zu testen.

So funktioniert’s:

  1. Wähle einen öffentlichen Ort, an dem sich wahrscheinlich deine Zielgruppe aufhält
  2. Bereite ein Tablet oder Laptop mit deiner Website/App vor
  3. Sprich freundlich Personen an und bitte um 5 – 10 Minuten ihrer Zeit
  4. Biete als Gegenleistung einen Kaffee oder einen kleinen Gutschein an
  5. Gib ihnen eine einfache Aufgabe und beobachte ihre Interaktionen
  6. Stelle anschließend 2-3 gezielte Fragen

Vorteile:

  • Sehr kostengünstig
  • Schnelles Feedback (5-10 Tests an einem Tag möglich)
  • Reale Nutzer statt professioneller Tester
  • Unvoreingenommene Meinungen

Nachteile:

  • Nicht repräsentativ für deine gesamte Zielgruppe
  • Öffentliche Umgebung kann ablenkend sein
  • Manche Menschen sind zurückhaltend

Guerilla-Testing eignet sich hervorragend, um offensichtliche Usability-Probleme zu erkennen und erste Eindrücke von Menschen zu sammeln, die dein Produkt noch nie gesehen haben.

3. Remote-Unmoderated Testing

Bei dieser Methode führen Nutzer Aufgaben auf deiner Website selbstständig durch, während ihre Aktionen aufgezeichnet werden. Ganz ohne direkte Moderation.

So funktioniert’s:

  1. Definiere 2-3 konkrete Aufgaben, die Nutzer auf deiner Website durchführen sollen
  2. Nutze Tools wie Rapidusertests, UserTesting, Maze oder Lyssna
  3. Die Plattformen rekrutieren Tester, die zu deiner Zielgruppe passen
  4. Tester führen die Aufgaben durch, während ihre Bildschirme und Kommentare aufgezeichnet werden
  5. Du erhältst Videos und/oder zusammengefasste Berichte

Vorteile:

  • Schnelle Ergebnisse (oft innerhalb von 24 Stunden)
  • Kein Moderationsaufwand
  • Nutzer in ihrer natürlichen Umgebung
  • Quantitative und qualitative Daten (Erfolgsraten, Zeit pro Aufgabe, Kommentare)

Kosten: Je nach Plattform ab ca. 100 € pro Tester.

Diese Methode bietet einen guten Kompromiss zwischen Aufwand und Tiefe der Erkenntnisse und lässt sich ideal in agile Entwicklungsprozesse integrieren.

4. DSGVO-konforme Hotspot-Analyse

Bei dieser Methode nutzt du vorhandene Webanalyse-Daten, um gezielt Problembereiche zu identifizieren und zu untersuchen. Wichtig: Die Zustimmung deiner Website-Besucher ist dabei unbedingt erforderlich!

So funktioniert’s (DSGVO-konform):

  1. Cookie-Banner implementieren: Stelle sicher, dass dein Cookie-Banner DSGVO-konform ist und explizite Zustimmung für Analytics und Tracking einholt
  2. Transparente Kommunikation: Erkläre in deiner Datenschutzerklärung genau, welche Daten du erhebst und wozu
  3. Identifiziere Problemseiten: Analysiere anonymisierte Daten zu Absprungraten oder niedrigen Konversionsraten
  4. Opt-In für erweiterte Analysen: Implementiere Heatmaps und Scrollmaps nur für Nutzer, die explizit zugestimmt haben
  5. Pseudonymisierung: Stelle sicher, dass Session-Recordings keine persönlichen Daten erfassen (automatische Ausblendung von Formularfeldern etc.)
  6. Datenminimierung praktizieren: Sammle nur die wirklich notwendigen Daten und lösche sie nach der Analyse

Datenschutzfreundliche Tools:

  • Hotjar (bietet DSGVO-Einstellungen und Datenschutzfeatures)
  • Matomo (mit entsprechendem Plugin und DSGVO-Einstellungen)
  • Microsoft Clarity (mit entsprechenden Datenschutzeinstellungen)
  • Mouseflow (mit DSGVO-konformen Optionen)

Tipp zur Compliance: Arbeite mit einem DSGVO-Experten zusammen, um dein Setup zu überprüfen. Eine gute Datenschutzpraxis schafft nicht nur rechtliche Sicherheit, sondern stärkt auch das Vertrauen deiner Nutzer!

Diese Methode ist trotz Datenschutzanforderungen äußerst wertvoll, um spezifische Problembereiche auf deiner Website zu identifizieren und zu verstehen, warum Nutzer bestimmte Aktionen nicht abschließen.

Mit der richtigen Implementierung kannst du aussagekräftige Erkenntnisse gewinnen, ohne die Privatsphäre deiner Nutzer zu verletzen.

Best Practices für erfolgreichen Lean User Research

Um das Maximum aus deinem Lean User Research herauszuholen, solltest du folgende Best Practices beachten:

1. Fokussiere auf klare Forschungsfragen

Beginne jeden Research mit einer klar definierten Forschungsfrage.

Anstatt allgemein „mehr über die Nutzer erfahren“ zu wollen, definiere konkrete Fragen wie:

  • „Warum brechen Nutzer den Checkout-Prozess auf Seite 2 ab?“
  • „Welche Informationen fehlen Nutzern, um eine Kaufentscheidung zu treffen?“
  • „Wie navigieren Nutzer durch unseren Onboarding-Prozess?“

Je spezifischer deine Frage, desto gezielter kannst du deine Research-Methoden auswählen und desto handlungsrelevanter werden deine Ergebnisse sein.

2. Kombiniere qualitative und quantitative Methoden

Auch bei Lean User Research ist es wichtig, verschiedene Datentypen zu sammeln:

  • Quantitative Daten (das „Was“): Analytics, A/B-Tests, Umfragewerte
  • Qualitative Daten (das „Warum“): Interviews, offene Antworten, Beobachtungen

Ein Beispiel für eine effektive Kombination:

  1. Identifiziere mit Analytics eine Seite mit hoher Absprungrate (quantitativ)
  2. Führe 3-5 kurze Interviews durch, um zu verstehen, warum Nutzer abspringen (qualitativ)
  3. Entwerfe basierend auf diesen Erkenntnissen einen A/B-Test (quantitativ)

Diesr Ansatz führt zu robusteren Erkenntnissen als jede Methode für sich allein.

3. Etabliere kontinuierliche Research-Zyklen

Lean User Research sollte nicht als einmaliges Projekt betrachtet werden, sondern als kontinuierlicher Prozess:

  1. Wöchentlich: Kurze Check-ins mit dem Team über Nutzerfeedback
  2. Monatlich: Analyse von Key-Metrics und gezielte Mini-Studies
  3. Quartalsweise: Umfassendere Untersuchungen zu strategischen Fragen

Durch diese regelmäßigen Zyklen baust du kontinuierlich Wissen auf und kannst schnell auf Veränderungen reagieren.

4. Dokumentiere und teile Erkenntnisse effizient

Lean bedeutet nicht, auf Dokumentation zu verzichten, sondern sie effizient zu gestalten:

  • Erstelle ein Template für „Research Nuggets“ – quasi kurze Erkentnisse deines Researchs
  • Führe ein leicht zugängliches „Repository“ (also eine Sammlung) für alle Erkenntnisse z. B. in Notion, Obsidian oder ähnlichen Tools
  • Halte kurze „Insight Sharing“-Sessions mit dem Team
  • Nutze visuelle Formate wie Mindmaps oder User Journey Maps

Ein Beispiel für ein Research Nugget:

ERKENNTNIS: Nutzer verstehen den Unterschied zwischen Premium und Pro Plan nicht

QUELLE: 3/5 Interviews + Heatmap-Analyse

MÖGLICHE LÖSUNGEN: Vergleichstabelle optimieren, differenziertere Namen wählen

PRIORITÄT: Hoch (betrifft direkten Umsatz)

5. Priorisiere Aktionen basierend auf Impact vs. Aufwand

Nicht alle Erkenntnisse erfordern sofortige Maßnahmen. Bewerte jede Erkenntnis nach:

  • Potenzieller Einfluss auf Geschäftsziele
  • Aufwand für die Umsetzung
  • Konfidenzlevel (wie sicher bist du, dass die Erkenntnis korrekt ist?)

Erstelle eine einfache 2×2-Matrix mit „Hoher/Niedriger Impact“ und „Hoher/Niedriger Aufwand“, um Prioritäten zu setzen. Fokussiere dich auf Quick Wins (hoher Impact, niedriger Aufwand) und strategische Projekte (hoher Impact, hoher Aufwand).

6. Involviere das gesamte Team

User Research sollte nicht isoliert in einer UX-Abteilung stattfinden:

  • Lade Teammitglieder aus verschiedenen Abteilungen als Beobachter zu Nutzertests ein
  • Halte kurze „Schau mal, was wir herausgefunden haben“-Sessions ab
  • Nutze kollaborative Workshops, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln

Je mehr Menschen im Unternehmen direkten Kontakt mit Nutzererkenntnissen haben, desto nutzerorientierter werden ihre Entscheidungen sein.

Eine Illustration einer Person, die unordentliche User Research Ergebnisse ansieht.

Häufige Fehler im Lean User Research vermeiden

Beim Durchführen von Lean User Research gibt es einige typische Fallstricke, die du vermeiden solltest:

1. Bestätigungsfehler (Confirmation Bias)

Der Bestätigungsfehler tritt auf, wenn du unbewusst nach Informationen suchst, die deine bestehenden Annahmen bestätigen, und Informationen ignorierst, die ihnen widersprechen.

Symptome:

  • Du stellst Fragen, die zu bestimmten Antworten führen
  • Du fokussierst dich auf Nutzeraussagen, die deine Hypothesen bestätigen
  • Du ignorierst widersprüchliche Daten als „Ausreißer“

Gegenmittel:

  • Formuliere neutrale, offene Fragen
  • Suche aktiv nach Daten, die deinen Annahmen widersprechen
  • Lass verschiedene Teammitglieder die gleichen Daten interpretieren
  • Definiere vorab, welche Evidenz deine Hypothese widerlegen würde

2. Zu frühe Fixierung auf Lösungen

Oft eilen Teams zu schnell zu Lösungen, bevor sie das Problem vollständig verstanden haben.

Symptome:

  • Du denkst bereits an Lösungen, während Nutzer noch ihre Probleme erklären
  • Deine Forschungsfragen enthalten implizite Lösungsansätze
  • Du testest Lösungen, bevor du das Problem validiert hast

Gegenmittel:

  • Trenne klar zwischen Problem-Research und Solution-Research
  • Stelle sicher, dass du mindestens 3 unterschiedliche Problemperspektiven sammelst
  • Halte ein „Problemverständnis“-Meeting, bevor du ein „Lösungs“-Meeting abhältst

3. Überinterpretation kleiner Stichproben

Lean User Research arbeitet oft mit kleinen Nutzerzahlen, was zu Fehlinterpretationen führen kann.

Symptome:

  • Du ziehst weitreichende Schlüsse aus einzelnen Nutzerkommentaren
  • Du betrachtest Muster in kleinen Stichproben als repräsentativ
  • Du ignorierst die Kontextabhängigkeit von Nutzeraussagen

Gegenmittel:

  • Sei transparent über Stichprobengrößen und deren Einschränkungen
  • Kombiniere kleine qualitative Studien mit quantitativen Daten
  • Formuliere Erkenntnisse als Hypothesen, nicht als Fakten
  • Nutze mehrere Methoden, um Erkenntnisse zu validieren

4. Vernachlässigung der Dokumentation

Im Eifer des Gefechts wird die Dokumentation oft vernachlässigt, was langfristig zu Wissensverlust führt.

Symptome:

  • Erkenntnisse existieren nur in den Köpfen einzelner Teammitglieder
  • Gleiche Research-Fragen werden mehrfach untersucht
  • Entscheidungen basieren auf vagen Erinnerungen an Forschungsergebnisse

Gegenmittel:

  • Etabliere ein einfaches, schnelles Dokumentationsformat
  • Dokumentiere während der Forschung, nicht erst danach
  • Nutze kollaborative Tools, die gemeinsame Erkenntnissammlung ermöglichen
  • Plane explizit Zeit für Dokumentation ein

5. Selektive Nutzerauswahl

Oft werden für Tests und Interviews nur leicht erreichbare oder „freundliche“ Nutzer ausgewählt.

Symptome:

  • Deine Testteilnehmer sind überwiegend Bekannte oder Kollegen
  • Du meidest kritische oder frustrierte Nutzer
  • Deine Stichprobe repräsentiert nur einen Teil deiner Zielgruppe

Gegenmittel:

  • Definiere klare Kriterien für Teilnehmerrekrutierung
  • Rekrutiere gezielt Nutzer mit unterschiedlichen Erfahrungsniveaus
  • Suche aktiv nach kritischen Nutzern oder Nicht-Nutzern
  • Nutze systematische Screening-Fragen

6. „Research Theater“ statt echter Erkenntnisgewinnung

Manchmal wird User Research durchgeführt, um zu zeigen, dass man nutzerorientiert arbeitet, ohne dass die Ergebnisse tatsächlich Einfluss haben.

Symptome:

  • Research-Ergebnisse führen selten zu Änderungen am Produkt
  • Entscheidungen werden getroffen, bevor die Forschungsergebnisse vorliegen
  • Es fehlt ein klarer Prozess, wie Erkenntnisse in Aktionen umgesetzt werden

Gegenmittel:

  • Stelle vor jeder Forschung die Frage: „Was würden wir ändern, wenn wir X herausfinden?“
  • Binde Entscheidungsträger direkt in den Research-Prozess ein
  • Tracke die Umsetzung von Research-basierten Empfehlungen
  • Feiere Erfolge, wenn Research zu Verbesserungen führt

Durch das Bewusstsein für diese häufigen Fehler und den Einsatz der Gegenmittel kannst du sicherstellen, dass dein Lean User Research nicht nur effizient, sondern auch wirklich wirksam ist.

Tools für Lean User Research

Um Lean User Research effizient durchzuführen, kannst du auf verschiedene Tools zurückgreifen, die dir Zeit und Aufwand sparen. Hier ist eine Übersicht der wichtigsten Kategorien und Tools:

Umfrage- und Feedback-Tools

Diese Tools helfen dir, schnell Feedback von Nutzern zu sammeln:

  • Hotjar – Bietet Umfragen, Feedback-Widgets und visuelle Analysewerkzeuge
  • Typeform – Erstelle optisch ansprechende Umfragen mit guter User Experience
  • Google Forms – Kostenlose Option für einfache Umfragen
  • SurveyMonkey – Umfangreiche Umfrageoptionen mit Templates
  • PollUnit – Sehr einfaches Tool für Umfragen

Tipp: Nutze vorhandene Templates und halte Umfragen kurz (max. 5 Fragen). Integriere Umfragen direkt in deine Website an relevanten Punkten.

Remote User Testing Tools

Diese Plattformen ermöglichen Nutzertests ohne direkte Moderation:

  • Rapidusertests – Einfache Rekrutierungsplattform mit vielen deutschen Teilnehmern
  • UserTesting – Umfassende Plattform mit großem Testerpool
  • Maze– Spezialisiert auf unmoderierte Tests für Prototypen
  • Lyssna – Bietet verschiedene Testformate wie 5-Sekunden-Tests
  • Lookback – Ermöglicht sowohl moderierte als auch unmoderierte Tests

Tipp: Starte mit 3-5 Testern pro Runde. Das reicht meist aus, um die größten Probleme zu identifizieren.

Verhaltensanalyse-Tools

Diese Tools helfen dir, das tatsächliche Nutzerverhalten auf deiner Website zu verstehen:

  • Hotjar – Heatmaps, Session Recordings und Conversion Funnels
  • Mouseflow (https://mouseflow.com) – Detaillierte Session Replays und Form Analytics
  • FullStory – Umfassende Digital Experience Intelligence
  • Crazy Egg – Fokus auf verschiedene Visualisierungstypen für Klickverhalten

Kollaborations- und Dokumentationstools

Diese Tools helfen dir, Erkenntnisse zu sammeln, zu organisieren und zu teilen:

  • Miro – Kollaborative Whiteboards für Research Synthese
  • Boardmix – Ähnlich wie Miro. Kollaborative Whiteboards
  • Notion – All-in-One-Workspace für Dokumentation und Zusammenarbeit
  • Obsidian + Relay – Echtzeit-Zusammenarbeit in einem Obsidian Vault (Obsidian ist ähnlich wie Notion)
  • Dovetail– Spezialisiert auf qualitative Datenanalyse und Research-Repository
  • MURAL – Digitale Arbeitsbereiche für visuelle Zusammenarbeit

Tipp: Erstelle wiederverwendbare Templates für Research-Pläne, Erkenntniszusammenfassungen und Empfehlungen, um Zeit zu sparen.

Kostenlose und kostengünstige Alternativen

Wenn du ein begrenztes Budget hast, kannst du mit diesen Optionen starten:

  • Google Meet/Zoom für moderierte Remote-Interviews
  • Microsoft Clarity für kostenlose Heatmaps und Session Recordings (beachte aber die DSGVO)
  • Calendly (kostenfreier Plan) zur Terminplanung mit Teilnehmern
  • Loom für asynchrone Videofeedbacks
  • Trello zur Organisation von Research-Erkenntnissen

Denke daran, dass das beste Tool das ist, welches du tatsächlich regelmäßig benutzt. Starte mit einem einfachen Setup und erweitere es nach Bedarf.

Integration von Lean User Research in deinen Workflow

Um wirklich von Lean User Research zu profitieren, solltest du ihn nahtlos in deinen bestehenden Workflow integrieren.

Hier sind praktische Ansätze für verschiedene Szenarien:

Für Solopreneure und Freelancer

Als Einzelkämpfer ist es besonders wichtig, effiziente Research-Prozesse zu etablieren:

  1. Wöchentlicher Research-Slot: Reserviere 2-3 Stunden pro Woche ausschließlich für User Research. Schütze diese Zeit wie einen Kundentermin.
  2. Client-Call-Integration: Füge am Ende jedes Kundentelefonats 5 Minuten für gezielte Research-Fragen hinzu. Notiere Erkenntnisse direkt nach dem Gespräch.
  3. Automatisiertes Feedback: Richte automatisches Feedback nach wichtigen Interaktionen ein:
    • Nach Projektabschluss eine kurze Zufriedenheitsumfrage
    • 2 Wochen nach Lieferung eine Nachfrage zur Nutzung
  4. Community-Research: Nutze deine Social-Media-Präsenz für schnelle Umfragen. Poste einmal wöchentlich eine Frage oder Abstimmung zu einem aktuellen Thema.

Für kleine Teams (2-10 Personen)

In kleinen Teams kann Lean User Research zu einem kollaborativen Prozess werden:

  1. Shared Research Ownership: Rotiere die „Research Lead“-Rolle alle 2 – 4 Wochen. Jeder im Team sammelt so Erfahrung und bringt unterschiedliche Perspektiven ein.
  2. 10-Minuten-Research-Standup: Halte einmal wöchentlich einen kurzen Stand-up ab, bei dem Teammitglieder Nutzererkenntnisse teilen, die sie in der vergangenen Woche gesammelt haben.
  3. „Wisdom Wall“: Erstelle eine digitale oder physische Wand, an der alle Teammitglieder Nutzererkenntnisse, Zitate oder Beobachtungen anheften können.
  4. Sprint-Integration: Binde in jeden Entwicklungs-Sprint mindestens eine kleine Research-Aktivität ein, z.B.:
    • Sprint 1: 3 kurze User Interviews zu Feature A
    • Sprint 2: Analyse der Analytics zu Feature B
    • Sprint 3: Unmoderierter Test des neuen Designs

Für größere Organisationen

In größeren Organisationen geht es darum, Lean User Research zu skalieren und zu demokratisieren:

  1. Research Champions Programm: Identifiziere in jeder Abteilung einen „Research Champion“, der grundlegende Research-Methoden beherrscht und als Multiplikator dient.
  2. Research Office Hours: UX-Researcher bieten wöchentliche „Office Hours“ an, in denen Teammitglieder ohne Termin vorbeikommen können, um Research-Fragen zu besprechen oder Unterstützung zu erhalten.
  3. Research Playbooks: Entwickle einfache Playbooks für wiederkehrende Research-Aufgaben, die auch Nicht-Researcher befolgen können, z.B.:
    • „Wie führe ich ein produktives 15-Minuten-Interview“
    • „5 Schritte zur Analyse von Support-Tickets“
  4. Demokratisierte Research-Tools: Stelle einfach zu bedienende Research-Tools für alle Teammitglieder bereit und biete Kurzschulungen an.
  5. Funktionsübergreifende Research Jams: Organisiere quartalsweise „Research Jams“, bei denen gemischte Teams aus verschiedenen Abteilungen gemeinsam an einer Research-Frage arbeiten.

Der Weg zu einem nutzerorientierten Mindset

Lean User Research ist mehr als nur eine Sammlung von Methoden. Es ist eine Denkweise.

Es geht darum, kontinuierlich zu lernen, Annahmen zu hinterfragen und Entscheidungen auf Basis von echten Nutzererkenntnissen zu treffen. Diese Denkweise kann transformativ für deine Projekte und dein gesamtes Unternehmen sein.

Der größte Vorteil von Lean User Research ist, dass die Einstiegshürde niedrig ist. Du musst nicht mit umfangreichen Studien beginnen. Ein 15-minütiges Gespräch mit einem Kunden oder eine einfache Umfrage kann bereits wertvolle Erkenntnisse liefern.

Nächste Schritte für dich

Hier sind einige konkrete nächste Schritte, die du heute umsetzen kannst:

  1. Starte mit einer einzigen Frage: Implementiere eine Ein-Fragen-Umfrage auf deiner Website oder in deinem Produkt.
  2. Sprich mit einem Kunden: Plane ein 15-minütiges Gespräch mit einem bestehenden oder potenziellen Kunden.
  3. Analysiere vorhandene Daten: Schaue dir deine Analytics, Support-Tickets oder Kundenfeedback an und notiere Muster.
  4. Erstelle eine Research-Routine: Reserviere einen festen Zeitslot in deinem Kalender für regelmäßige User Research Aktivitäten.
  5. Teile deine Erkenntnisse: Sorge dafür, dass deine Erkenntnisse im Team (wenn du eins hast) geteilt und für Entscheidungen genutzt werden.

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